(K)ein Problem für die freie Gesellschaft?
In den Zeiten der Corona-Krise ändert sich viel, und zwar in allen Bereichen unserer Gesellschaft. Die im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Pandemie verhängten Maßnahmen verändern unsere Arbeit, Umwelt, unser Zusammenleben, unsere Freizeit und Konsumgewohnheiten. Aber sie verändern auch die Art, wie Politik gemacht wird.
Schon sehr zu Anfang war klar, dass CoV-19 mehr bedroht als unsere Gesundheit. Durchaus typisch für die freien Marktwirtschaften der westlichen Welt wurde sofort auf die Risiken für die Wirtschaft hingewiesen. Umsatzeinbußen in den meisten Wirtschaftszweigen, Einbrüche an den Aktienmärkten, all das hat sich bewahrheitet. Einige wiesen auch auf die Gefahren für die menschliche Psyche hin, dieser Gefahr wurde jedoch allgemein weniger Bedeutung zugemessen. Mehr Nachfrage nach psychologischen Behandlungen? Ein Anstieg der häuslichen Gewalt? All das wird erst zeitverzögert messbar werden. Genauso wie eine weitere Gefahr: die Gefahr für unsere Demokratie.
Im Krisenmodus überträgt die Demokratie der Exekutive, also den handelnden und ausführenden Organen, mehr Kompetenzen, um schneller agieren zu können. Und um es hier direkt vorweg zu nehmen: es geht nicht um die Befürchtung, dass die Personen und Gremien, die von Machtzuwächsen profitiert haben, nicht mehr bereit sind, den Schritt zurück zu gehen, wie es viele Autoren befürchten. Natürlich werden nach dem Ende der Pandemie manche Personen damit Schwierigkeiten haben. Jedoch sind die derzeitigen Verfügungen und Verordnungen überwiegend auf der Ebene von Kreisen und Ländern getroffen worden, nicht an der obersten Spitze des Staates. Und das größte Korrektiv, die Judikative, bleibt unangetastet und ist in der Lage, einzugreifen – ganz im Gegensatz zu sich autoritär entwickelnden Ländern wie Ungarn oder Polen.
All das, was momentan stattfindet, gehört zum vorgesehenen Arsenal an Werkzeugen, die unserer Demokratie zur Verfügung gestellt wurden, um auf eben solche Krisen reagieren zu können. Und trotzdem birgt es eine Gefahr. Die oft langwierigen Entscheidungsfindungs-Prozesse der parlamentarischen Gremien auf allen Ebenen werden plötzlich zu einem Luxus, den man sich nicht länger leisten kann. Im schlimmsten Fall empfinden die Menschen sie sogar als Belastung.
Auch vor der Krise schien sich die Politik - ganz im Gegensatz zur durch die Digitalisierung beschleunigte Gesellschaft - in ihren Entscheidungsprozessen zunehmend zu verlangsamen. Dabei handelt es sich nicht nur um ein gefühltes, sondern um ein reales Problem der Politik. Und genau für dieses Problem bietet sich derzeit eine vermeintliche Lösung: Im Krisenmodus, in dem die Macht sich z.B. in den Händen eines Bürgermeisters oder Landrates konzentriert, geht alles plötzlich sehr schnell.
Keine Bürgergespräche, Koalitionsverhandlungen, unzählige Entwürfe, Untersuchungen, Planverfahren, Änderungsanträge und Fristen über Monate, manchmal Jahre hinweg. In wenigen Tagen ist die Allgemeinverfügung geschrieben, veröffentlicht und umgesetzt. Und dabei handeln die Machthabenden momentan stets im Sinne der Bevölkerung. Die verhängten Maßnahmen werden von einer breiten Mehrheit mitgetragen und begrüßt, denn sie sind oft auch unbestreitbar zum Besten der Bevölkerung.
Viele der wegweisenden Entscheidungen, solcher, die ein gewisses Streit- oder sogar Spaltungspotential haben sind auf unbestimmte Zeit verschoben. Darum scheint es den Menschen wenig auszumachen, dass sie durch die Maßnahmen um ihre Möglichkeiten der Einflussnahme gebracht sind. Demonstrationen, vor anderthalb Monaten noch das Mittel der Wahl, um Thomas Kemmerich zum Rückzug zu zwingen: Nicht mehr möglich. Anfragen an den Stadtrat stellen, um sich als Bürger*in Gehör für sein Anliegen zu verschaffen: Nicht mehr möglich. Die Gefahr darin ist nicht, dass uns diese Möglichkeiten auf Dauer genommen werden, sondern dass die Menschen von sich aus (noch mehr) auf sie verzichten.
Wenn die Menschen als politische Lehre aus dieser Krise mitnähmen, dass etwas mehr Macht für die Exekutive, etwas mehr autoritäre Struktur eine Demokratie effizienter machen, begänne ein gefährlicher Trend. Denn auch wenn die Positionen momentan mit Menschen besetzt sind, die im Sinne der Bevölkerung entscheiden und die Demokratie über den Zugang zur Macht stellen, so ist dies keinesfalls garantiert.
Es ist weltweit und wie die Geschichte gezeigt hat, ein Phänomen, dass sich die Bevölkerung in Zeiten der Krise zumindest führungsstarken, wenn nicht sogar autoritären Personen und Ideen zuwendet. Man stelle sich die derzeitige Situation nur einmal unter eine*r AfD-Bürgermeister*in oder Ministerpräsident*in vor. Weil uns ein Beispiel dafür in der jetzigen Situation erspart geblieben ist, zeigt ein Blick auf Umfragen oder vergangene Wahlen jedoch, dass es nicht fern der Realität ist.
Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen CoV-19 tatsächlich auf die politische Kultur in Thüringen und Deutschland haben wird, ich hoffe jedenfalls, dass sich diese Gefahr nur als falsche Befürchtung herausstellt.
von Jasper